Von Brüssel an den Ammersee

Kategorie: Veranstaltungen

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Klangzeit-Duo Finni Melchior und Hansi Zeller mit Moderatorin Angela Kraus, Mia Schmidt vom Freundeskreis der evangelischen Akademie Tutzing, Jung-Biobauer Max Knoller und Diakon Hans-Hermann Weinen (v.li.n.re.) beim 2. Gesprächstag. EU-Politikerin Maria Noichl war über den Bildschirm zugeschaltet.

Einen großen Bogen von der EU-Politik bis zum Bio-Milchbauern am Ammersee spannte am 18. März der Zweite Gesprächstag der evangelischen Kirchengemeinde Herrsching und des Freundeskreises der evangelischen Akademie Tutzing. Unter dem Titel „Tischlein deck dich: dezentral – regional – nicht egal“ setzten sich die SPD-Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Maria Noichl, und der Jung-Landwirt Max Knoller vom SeeKuhHof in Dießen mit der Zukunft der Landwirtschaft auseinander. Das Gespräch, zu dem Noichl via Bildschirm aus Rosenheim zugeschaltet war und das live ins Internet gestreamt wurde, moderierten Diakon Hans-Hermann Weinen und Angela Kraus, Leiterin Bildungsmanagement/Bildungsreferentin vom Haus der Bayerischen Landwirtschaft Herrsching. Musikalische Akzente setzten Hansi Zeller, Akkordeon, und Finni Melchior, Geige, vom Duo Klangzeit aus Breitbrunn. Eine zentrale Frage lautete: Sind wir bereit, für regionale und nachhaltige Lebensmittel höhere Preise zu bezahlen? „Der Verbraucher ist zwiespältig, sobald es um den Schutz von Umwelt, Natur und Tieren geht: Er ist Kunde und Bürger in einem“, wusste EU-Politikerin Noichl. Die gelernte Hauswirtschafterin und Ernährungsexpertin ist Mitglied im EU-Ausschuss für Landwirtschaft und Ländliche Entwicklung. „Als Kunde möchten die Verbraucher das nehmen, was am günstigsten ist. Als Bürger wissen sie jedoch, dass das System der Billigpreise nicht funktioniert. Trotzdem kommt das Geiz-ist-Geil-Gefühl auf.“ Das Schnäppchen an der Käse- und Fleischtheke ist kein Schnäppchen für die Gesellschaft, so Noichl.

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Was trägt ein Biohof wie der SeeKuhHof mit seinen 85 Milchkühen zum Gemeinwohl bei? „Wir sorgen seit Generationen dafür, dass die Ernährung funktioniert, dass etwas zu Essen auf dem Tisch steht“, ist Jungbauer Knoller überzeugt. Der 25-Jährige will die Arbeit der Eltern und Großeltern fortführen. Besonders schätzt er an seinem Beruf, „dass man weiß, wo das Lebensmittel herkommt und selber die Finger im Spiel hat, das Essen auf den Tisch zu bringen“. Eine große Rolle spielt dabei die Direktvermarktung: „Die Kunden wollen zu dem, was sie kaufen, ein Gesicht haben.“ Der Landwirt im Ort wird wahrgenommen, als einer, „der auf die Tiere schaut und auf die Natur, in der wir leben“. Noichl stieß ins gleiche Horn. Solange Politik in verschiedenen Kategorien organisiert sei, z. B im Umwelt- und im Landwirtschaftsausschuss, gebe es ein Problem: „Wenn wir über Landwirtschaftspolitik reden, liegt die Deutungshoheit nicht bei den Landwirten alleine“. Dabei will sie den Landwirten keinesfalls ihr Fachwissen absprechen. „Aber Landwirtschaft ist mehr als nur die Technik der Landwirtschaft. Es ist ein Gemeinschaftsthema, und es muss erlaubt sein, dass alle Gruppen mitreden“, wünschte sich die Politikerin. Zum Mitreden lädt Knoller die Bürger an seinen Hof ein: „Die Leute, die auf mich zukommen, die haben sich vorher schlau gemacht. Ich finde es wichtig, wenn sie mich direkt fragen. Bei uns gibt’s die Meinung am Hof zum Abholen.“ Noichl war begeistert: „Die Verbindung zwischen Erzeuger und Verbraucher, das ist doch fast schon wie heiraten. Wer bei Ihnen einkauft, hat Vertrauen!

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Welche Themen bewegen die EU-Verbraucher am meisten, fragte Weinen. „Tierschutz steht an erster Stelle. Das geht von den gestopften Gänsen bis hin zum Stierkampf“, antwortete Noichl. Danach kämen die Einträge in die Böden: Glyphosat, Gülle, Pestizide, „die Leute sehen die Landwirtschaft als Verursacher“. Auf der Agenda des Parlaments ganz oben stehen aktuell die große Agrarreform und die Förderpolitik für die nächsten sieben Jahre. „Es geht um Milliarden öffentlicher Gelder, deren Vergabe etwas bewirken soll. Steuergelder sind dafür da, um zu steuern.“ Auch Landwirt Knoller richtet seinen Betrieb daran aus, was gefördert wird, „so dass er zukunftsfähig ist“. Der SeeKuhHof hat 2020 auf biologischen Landbau umgestellt – dank Corona. Denn aufgrund erhöhter Nachfrage nach Bioprodukten suchte die Molkerei neue Lieferanten. Als Umstellungsbetrieb nutzen die ­Knollers derzeit die Förderung des Bundes oder der EU, damit das, was weniger produziert wird, kompensiert werden kann. Erkenntnisse zog auch die EU aus der Coronakrise: „Das Thema Lieferketten ist deutlich mehr ins Blickfeld geraten. Wären die Sojadampfer nicht mehr gefahren, dann wär‘s bei uns in Europa dramatisch geworden“, berichtete Noichl. „Wir haben eine extrem hohe Abhängigkeit. Auf einmal merkt man, dass kleinere, gemischte Lieferketten stabiler sind.“

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Wie denken und handeln der Biobauer und die EU-Politikerin als Verbraucher? Knoller geht es um Verhältnismäßigkeit: „Mich stört, wenn Bioprodukte aus anderen EU-Ländern gegenüber konventionell hergestellten Produkten aus dem Nachbarort bevorzugt werden. Als Verbraucher würde ich immer die Regionalität der Bioqualität vorziehen, weil ich damit aktiv den Landwirt in meiner Region unterstütze“. Hybrid-Verbraucherin Noichl – „ich kaufe heute im Supermarkt, morgen im Bioladen“ – weiß aus eigener Erfahrung: „Ernährung hat ganz viel mit Gewohnheit und Erziehung zu tun. Markenabhängigkeit wird zuhause gelernt.“ Ernährungsbildung brauche deshalb in den Schulen einen höheren Stellenwert. Sie schlug zudem vor: „Für Grundnahrungsmittel sollte es überhaupt keine Werbung mehr im Fernsehen geben.“ Schließlich ging es um die Zukunft: Wird es eher kleine oder größere Betriebe geben? Braucht es einen Strukturwandel? Noichl setzte in dieser Frage nicht auf Größe, sondern auf die Besitzstruktur. „Wichtig ist, dass die Betriebe eigentümergeführt sind, von eigenständigen Landwirten. Schlimm wird’s nämlich, wenn am Ende eine Art Holding das Sagen hat und sich keiner mehr verantwortlich fühlt.“ Sie sorgt sich, dass große Handelsketten eigene Flächen kaufen und dann Landwirte als Angestellte nehmen. Für einen wie Knoller unvorstellbar. Zu den Höhepunkten in seinem Leben gehört, wenn die Kleinen aus dem Kindergarten auf den Hof kommen, die Tiere erleben und streicheln. „Da spüre ich dann schnell, dass ich den schönsten Beruf habe, den es gibt!“

Normalerweise geben die Besucher am Ende einen Obolus. Da in Coronazeiten keine Zuschauer vor Ort teilnehmen können, ist die evangelische Kirche in Herrsching dankbar, wenn Sie eine Spende überweisen: Spendenkonto IBAN DE 61 7009 3200 0001 5612 35, Stichwort: Gesprächstage 2021.

Für Sie berichtete Petra Schmieder.

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