Die Moderne ist in die Jahre gekommen

Kategorie: Veranstaltungen

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Diskutierten leidenschaftlich über die Zukunft: Prof. Dr. Annette Kehnel und Abt Johannes von Andechs mit Moderator Diakon Hans Hermann Weinen (Mi.)

Der Abend begann träumerisch! Das Duo Klangzeit aus Breitbrunn spielte „Sous le ciel de Paris“ („Unter dem Himmel von Paris“), Publikum und Podiumsgäste schwelgten in romantischen Erinnerungen. Diese verblassten schnell, als es beim Evangelischen Gesprächstag am 17. Februar zur Sache ging. Unter dem Titel „Orientierung finden – Perspektive wechseln“ führten Prof. Dr. Annette Kehnel aus Mannheim und Abt Johannes von Andechs ein dynamisches und aufrüttelndes Gespräch. Die Wissenschaftlerin für Politik-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte und der Oberste Mönch von St. Bonifaz in München und Andechs äußerten teils unbequeme An- und Einsichten zur ökologischen und ökonomischem Transformation. „Sie wird in den kommenden Jahren alle gesellschaftlichen Bereiche treffen und verändern“, warnte Moderator Diakon Hans Hermann Weinen das Publikum. Zu den rund 20 Zuschauern im evangelischen Gemeindehaus in Herrsching gesellten sich via Livestream weitere 50 am Bildschirm.

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„Die Moderne ist in die Jahre gekommen“, stellte Annette Kehnel schnell klar, worum es ihr geht. Lebten die Menschen bis zur Jahrtausendwende noch im Dreiklang ‚Wachstum – Wohlstand – Fortschritt‘, „brauchen wir fürs 21. Jahrhundert vielleicht mal was Neues“. Dabei denkt sie an einen „Fortschritt in die richtige Richtung und mit den richtigen Mitteln“, die aktuelle „Situation ist nicht alternativlos“. Als Beispiel erzählte sie die mittelalterliche Legende des Schäferjungen Bénézet. Danach zauderten die alteingesessenen Bewohner Avignons über Jahre, eine Brücke über die Rhône zu bauen. Bis eines Tages der unbedarfte Bénézet aus den Bergen auftauchte und das Projekt in Windeseile realisierte. Bénézet gründete eine Brudergemeinschaft, die sich noch viele Jahrhunderte in genossenschaftlicher Manier um den Erhalt der Brücke kümmerte.

Von „Erneuerungsimpulsen im Christentum“ berichtete auch Abt Johannes. Laut der Regel des Heiligen Benedikts soll der Abt beim Rat der Brüder besonders auf die Jüngeren hören: „Durch die Jüngsten offenbart sich oft, was das bessere ist“. Weil sie noch eine gewisse Naivität haben, Routineabläufe hinterfragen und weil sie Ideale haben, so der Abt. Dass wie bei ‚Friday for future‘ junge Menschen auf das Gut der Schöpfung aufmerksam machen, sei einer der „prophetischen Aufbrüche unserer Zeit“. Ein weiteres Beispiel für ein prophetisches Moment sieht Abt Johannes darin, dass eine evangelische Landeskirche sich ein Boot im Mittelmeer leistet, um Flüchtlinge zu retten.

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Veränderung ist anstrengend! „Transformation erschlägt erstmal jeden“, provozierte Moderator Weinen seine Gäste. Kehnel hielt prompt dagegen: „Transformation ist cool, und historisch gesehen sind Menschen Transformationskünstler. Wir sind immer an Herausforderungen gewachsen.“ Als Beispiel nannte sie die Vermüllung der Welt. Heute produzierten die Deutschen jährlich weit mehr als 400 Millionen Tonnen Abfall. „Noch bis in die 1950er Jahre war Recyceln der goldene Standard“, so Kehnel. Erst die Überschwemmung der Märkte mit billigem Öl pushte den Konsum, die Wegwerfgesellschaft war die Folge. „Wenn wir wissen, dass diese Form von Wirtschaften noch so jung ist, können wir doch hoffen, dass sie sich wieder verändert“, glaubt Kehnel. Ebenso erlebe die Kirche ständig Veränderung. „Gerade jetzt ist ein bitterer Klärungsprozess im Gang“, so der Abt. Zugleich schaut er nach vorne: „Ich bin neugierig darauf, was neu entstehen wird.“ Denn Transformation bedeute keinen Abbruch.

Was uns heute fehlt? „Die Mut und die Lust auf Veränderung“, räumte Kehnel ein. Ihr ist es deshalb besonders wichtig, Rückenwind für die Ideen und Pläne der Jüngeren zu schaffen. Es müsse mehr Anreize geben, „die uns zum enkelfreundlichen Handeln motivieren“. „Kann das Seelenheil wieder Grundlage unseres Handelns werden?“, wollte Moderator Weinen schließlich wissen. Für Abt Johannes ist die heile Seele das höchste Gut des Menschen. „Gott wollte ein freies Gegenüber, das den Mut hat, sich zu verantworten“, sagte er und ist überzeugt: „Wir können es gestalten.“

So sehr sich die Wissenschaftlerin und der Abt in ihren Herangehensweisen an manche Fragestellungen unterschieden, begeisterten sie durch ihre Offenheit für die Zukunft und ihren Idealismus: „Lasst uns die Welt neu denken!“

Der Gesprächstag wurde mit Unterstützung des Freundeskreises der Evangelischen Akademie Tutzing veranstaltet. Die Aufzeichnung steht im Internet auf www.dreiseengemeinde.de

Der nächste Evangelische Gesprächstag findet am 24. März 2022 statt. Zu Gast ist Prof. Dr. med. Bert te Wildt, Chefarzt der Psychosomatischen Klinik im Kloster Dießen.

Für Sie berichtete Petra Schmieder.

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